Wilde Rheinauen – Artenreicher Lebensraum am Grenzfluss

In einer dicht besiedelten Region wie dem Oberrhein Naturfotografie zu betreiben ist nicht immer ein leichtes Unterfangen. Zwar hat auch die kultivierte Landschaft ihre Reize, dennoch bevorzuge ich möglichst „natürliche“ Bilder ohne störende Zivilisationsmerkmale. Zum Glück gibt es zwischen dem begradigten Rhein und den landwirtschaftlichen Monokulturen der Oberrheinebene noch unzählige Altrheinarme mit urigen Auwäldern und reicher Tier- und Pflanzenwelt. In diesen Gebieten finden sich Motive im Überfluss. Manchmal gelingen in der Flussaue sogar Bilder mit dem ersehnten wilden und ursprünglichen Charakter.

Der Oberrhein – alles andere als wild

Durch seine zentrale Lage in Europa ist der Rhein eine der verkehrsreichsten Wasserstraßen der Welt. Über Jahrzehnte hinweg wurde der Fluss begradigt und schiffbar gemacht. Die Schlingen wurden gekappt und das Wasser in ein künstliches Flussbett gezwängt. Die Folge war eine Austrocknung der Auenlandschaft und damit die weitgehende Zerstörung artenreicher Lebensräume.

Auf den ersten Blick also alles andere als eine wilde Landschaft. Es drängt sich daher die Frage auf, ob Naturfotografie am zubetonierten und von Monokultur-Landwirtschaft umgebenen Oberrhein überhaupt möglich ist? Ja, es ist möglich. Denn zwischen dem kanalisierten Rhein-Hauptkanal und der vom Maisanbau geprägten Oberrheinebene findet sich noch ein schmaler Landstrich mit Altrheinarmen und Auwäldern. Dieses wasserreiche Gebiet vermittelt zuweilen den ursprünglichen Charakter einer Flussaue. Zu diesem Bild tragen neben den Altrheingewässern auch die zahlreichen Zuflüsse aus dem nahen Schwarzwald bei. Aus den schnellen Gebirgsbächen werden in der flachen Oberrheinebene gemächlich dahin mäandrierende Flüsse mit teils breiten Mündungsgebieten und vegetationsreichen Uferzonen. Ergänzt wird das Wasserangebot durch unzählige Baggerseen. Dieser Wasserreichtum hat dem Oberrhein im Jahr 2008 die Auszeichnung als „grenzüberschreitendes Feuchtgebiet internationaler Bedeutung“ gemäß der Ramsar-Konvention eingebracht. Das Ramsar-Gebiet umfasst insgesamt ca. 48.000 Hektar auf deutscher und französischer Seite. Es erstreckt sich auf 190 km Länge von Weil am Rhein bis Karlsruhe und beinhaltet 17 verschiedene FFH-Lebensraumtypen.

Wilde Fotomotive

Für Naturfotografen ist der Oberrhein also durchaus interessant, sowohl für die Landschafts- als auch für die Tierfotografie. Da ich selbst in unmittelbarer Nähe zum Rhein wohne, zählt die Flussaue deshalb zu meinen bevorzugten Fotorevieren. Neben den Gewässern selbst, sind die begleitenden Auwälder fotografisch höchst interessant. Die Wälder sind häufig nicht sehr breit, aber dafür von Karlsruhe bis an die Grenze zur Schweiz nahezu durchgängig und daher eine wertvolle Wanderstrecke für viele Tiere. Entsprechend ist nahezu alles in den Wäldern vertreten, was die heimische Tierwelt zu bieten hat: Wildschwein, Reh, Fuchs, Dachs, Marder, Fasan, Nutria und neuerdings auch wieder Biber.

Wildgänse im herbstlichen Taubergießen

Sogar die ausgestorben geglaubte Wildkatze streift nachweislich wieder durch die oberrheinischen Auwälder. Die teils undurchdringlichen Dickichte bieten gute Rückzugsmöglichkeiten für viele Wildtiere. Die alten Baumbestände mit knorrigen Eichen und reichlich Totholz sind auch Lebensraum und Brutgebiet für zahlreiche Vogelarten. Überall trifft man auf Höckerschwan, Graureiher, Kormoran, Eisvogel sowie verschiedene Enten-, Rallen- und Taucherarten. In den Wintermonaten gesellen sich Silberreiher und Wildgänse hinzu. Mit etwas Glück bekommt man auch seltene Arten wie Rohrdommel, Fischadler oder Schwarzstorch zu sehen. Das Gebiet ist auch ein Eldorado für Makroliebhaber. Insekten, Spinnen, Reptilien und Amphibien gibt es reichlich – und zum Leidwesen des Fotografen auch Stechmücken und Zecken. Im Frühjahr geht es dann auch in der Pflanzenwelt Schlag auf Schlag: Winterlinge, Märzenbecher, Buschwindröschen, Schlüsselblumen und Bärlauch laden zum Fotografieren ein. Man hat dann die Qual der Wahl. Für mich als Hobbyfotograf mit begrenztem Zeitkontingent ist das immer wieder frustrierend. Die Motivauswahl sprengt den verfügbaren Zeitrahmen und in wenigen Wochen ist der Blütenzauber schon wieder vorbei.

Licht ins Chaos

Manche Gebiete entlang des Oberrhein haben nahezu einen Urwald-Charakter. Dem Fotografen wird die Arbeit damit allerdings erschwert, denn diese teils chaotischen Szenerien in ein aufgeräumtes Bild zu verpacken, ist nicht selten die größte Herausforderung. Für die Bildgestaltung ist das Weitwinkel daher meist das schwierigste Objektiv. Ich habe mir deshalb angewöhnt, jedes Motiv zusätzlich durch die Linsen eines Teleobjektives zu betrachten. Dabei erweist sich die Teleperspektive nicht selten als die bessere Wahl. Häufig schon stand ich an idyllischen Gewässerabschnitten im dichten Auwald und war fasziniert von dem Anblick. Nahezu automatisch ging der Griff dann zum Weitwinkelobjektiv. Mit der Folge, dass die Aufnahmen viel zu überladen mit Details waren. Das Teleobjektiv hingegen erzwingt eine Entscheidung vom Fotografen. Zwangsläufig müssen Bildausschnitte gewählt werden, die besonders charakteristisch für die zu fotografierende Landschaft sind. Häufig sind derartige Ausschnitte repräsentativer als eine überfrachtete Gesamtansicht. Ein weiteres typisches Problem beim Einsatz von Weitwinkelobjektiven sind die hohen Kontraste. Schuld ist meistens der Himmel, der beim Weitwinkel nahezu unvermeidbar mit im Bild ist. Dabei kann auf die Abbildung des Himmels bei vielen Motiven durchaus verzichtet werden. Bevor ich mich mit Verlaufsfiltern oder HDR-Technik verkünstle, greife ich deshalb gerne auch mal zum Teleobjektiv, um das Bild auf einen problemlos belichtbaren Ausschnitt zu reduzieren. Fotografisch vielleicht nicht unbedingt die anspruchsvollste Strategie, aber eine pragmatische Lösung, die in der Praxis funktioniert.

Mit dem Teleobjektiv können Bildmotive verdichtet werden.

Tierfotografie

Lange Zeit habe ich mich fast ausschließlich auf die Landschafts- und Makrofotografie beschränkt. Der zeitliche und logistische Aufwand für die Tierfotografie erschien mir einfach zu groß. Die vielen am Wasser lebenden Vögel haben es mir aber trotzdem schon immer angetan. Im letzten Jahr habe ich mir deshalb ein 2 x 3 Meter großes Tarnnetz besorgt und mich erstmals an die Tierfotografie gewagt. Auslöser dafür war die Ankunft der Wildgänse im Spätherbst. Wildgänse sind am Oberrhein ein eher seltener Anblick. Meist rasten die Gänse nur für kurze Zeit, bevor sie ihre Reise zu den Winterquartieren fortsetzen. Ich beobachte die Gänse schon seit Jahren und finde, dass die Wildgänse die Auenlandschaft noch lebendiger machen. Manchmal verleihen sie den stillen Gewässern sogar einen Hauch von Wildnis.

Bewaffnet mit Kamera und Tarnnetz machte ich mich also erstmals auf die Jagd nach den Gänsen. Dabei stellte sich schnell heraus, dass die Tierfotografie für mich gleich doppelt spannend ist. Denn zum Erlebnis Tierfotografie kamen noch einige technische Probleme hinzu. Ich fotografiere vorwiegend mit einer digitalen Spiegelreflexkamera von Pentax, Modell K20D. Speziell für die Tierfotografie habe ich mir ein Sigma 50-500 F4-6.3 Telezoom angeschafft. Eine Kombination mit der durchaus gute Aufnahmen möglich sind. Für actionreiche Tierfotografie aber nicht gerade die Traumausrüstung. In der Dämmerung oder an düsteren Tagen mit wenig Licht, stoße ich immer wieder an die Grenze des technisch Machbaren. Für scharfe Aufnahmen erfordert das Objektiv ein Abblenden um mindestens eine, besser zwei Belichtungsstufen. Gleichzeitig sind die Möglichkeiten der Kamera bei der ISO-Empfindlichkeit aufgrund von steigendem Bildrauschen beschränkt. Bilder von bewegten Motiven werden dadurch oftmals zum Glücksspiel. Ich sehe das aber recht entspannt, denn bei meinem Hobby kommt es mir nicht auf Höchstleistung an. Und mit entsprechender Sorgfalt und Ausdauer gelingen auch immer wieder Aufnahmen mit guter Qualität.

Ich halte es dabei für sehr wichtig, dass man sich über die eigenen technischen Möglichkeiten im Klaren ist. Anfänglich habe ich mich oft auf „Biegen und Brechen“ an Actionaufnahmen im spärlichen Winterlicht versucht. Das Ergebnis: Hunderte von Bildern auf der Speicherkarte und kaum eines davon brauchbar. Für mich sehr aufschlussreich war die Auswertung derartiger Bilderserien am PC. Dazu habe ich die eigenen Bilder einfach mit Blick auf ISO-Empfindlichkeit, Brennweite, Blende und Verschlusszeit analysiert. Dabei zeigt sich recht schnell, mit welchem Objektiv und bei welchen Einstellungen noch scharfe Bilder möglich sind bzw. ab wann man sich besser anderen Motiven zuwenden sollte. Mit den gewonnenen Erkenntnissen im Hinterkopf, selektiere ich die Fotomotive inzwischen bereits im Vorfeld auch nach technischen Aspekten. Manch verlockende Aufnahmesituation, an der ich mir früher die Zähne ausgebissen hätte, lasse ich heute einfach links liegen und weiche auf technisch Machbares aus.

Höckerschwan in der Rheinaue im Landeanflug

Häufig wird aus der Not sogar eine Tugend, denn Alternativen gibt es in der Naturfotografie immer. Ist das Licht zu schwach für scharfe Teleaufnahmen, dann kommt eben das Weitwinkel zum Einsatz und die Tiere werden in ihrem Lebensraum gezeigt. Oder ich beschäftige mich ersatzweise mit Motiven im Makrobereich. Wenige gelungene Landschafts- oder Makrobilder sind mir lieber, als das Löschen von zahlreichen unscharfen Tieraufnahmen. Bei mir hat sich diese Vorgehensweise jedenfalls bewährt: Die Bildausbeute ist deutlich gestiegen und auch das Frustpotential ist bei dieser Arbeitsweise spürbar geringer. Trotz dieser technischen Probleme habe ich an der Tierfotografie aus dem Tarnversteck großen Gefallen gefunden. Leider mangelt es immer an freier Zeit, aber gerade deshalb hat sich die Anschaffung eines Tarnnetz bewährt. Mit dem Netz bin ich schnell und flexibel, es ist blitzschnell übergeworfen und innerhalb einer Minute sitze ich gut getarnt am Gewässerufer. Mit einer kleinen Iso-Matte unter mir und dem Stativ zwischen den Beinen, lässt sich sehr gut fotografieren. Für längere Ansitze ist das sicherlich zu unbequem, aber für wenige Stunden eine gute Lösung mit geringem Aufwand. Ein weiterer Vorteil ist die niedrige Sitzposition, bei der man sich auf Augenhöhe zu den Tieren begibt.

Wilde Tiere aus nächster Nähe beobachten zu dürfen, ist schon ein besonderes Erlebnis, das ich nicht mehr missen möchte. Ich genieße es, in den frühen Morgenstunden am Flussufer zu sitzen und dem langsam anschwellenden Geschnatter der Wildgänse zu lauschen. Wenn dann die ersten Sonnenstrahlen über den Horizont brechen, Nebelschwaden vom Wasser aufsteigen und zeitgleich hunderte Gänse auffliegen, dann bin ich meinem Ziel nach möglichst wilden und ursprünglichen Bildern schon recht nahe.

Lichtstimmungen nutzen

Wann immer möglich, versuche ich besondere Wetterlagen oder Lichtstimmungen auch für die Tierfotografie zu nutzen. Im Herbst beispielweise spiegelt sich häufig das bunte Blattwerk der Bäume im Wasser und ergibt einen attraktiven Hintergrund für Tierbilder. Lohnenswert sind auch Aufnahmepositionen mit Gegen- oder Streiflicht. Das gilt bei Wasservögeln sogar in besonderem Maße, denn aufspritzende Wassertropfen, die wie Perlen im Gegenlicht glitzern, verleihen den Bildern zusätzliche Dynamik. Sogar „Allerweltsmotive“ wie Schwäne oder Enten lassen sich auf diese Weise ansprechend in Szene setzen. Aber auch ohne Lichtpunkte sind durchaus interessante Bilder möglich. An trüben Tagen beispielsweise, wenn Nebel die Motive nur schemenhaft in Erscheinung treten lässt, entstehen oftmals Bilder mit geheimnisvoller Stimmung.

Altrheinarm im Morgenlicht

Altbekanntes in neuem Licht

In den letzten Jahren hatte ich mehrere eigene Fotoausstellungen und Bildvorträge. Dabei war es mir immer wichtig, den Wert der heimischen Natur herauszustellen. Doch der Erfolg meiner sachlichen Aufklärungsarbeit war eher bescheiden. Die Besucher haben meine Bilder zwar gelobt, im selben Atemzug wurde mir jedoch gesagt: „Herr Sauer, Sie sollten unbedingt mal nach Nordamerika oder Afrika, da gibt es noch echte Natur.“ Das fand ich immer ein wenig frustrierend. In der Folge habe ich das Thema meiner Ausstellungen und Vorträge umgestellt. Das Motto lautet heute: „Wilde Rheinauen“ oder „Wildnis am Oberrhein“. Dabei versuche ich dann möglichst „wilde“ Bilder zu zeigen. Und es funktioniert! Die Besucher bestätigen mir immer wieder, dass sie ihre Heimat so noch nie wahrgenommen haben. Das Schönste, was mir ein Besucher in diesem Zusammenhang einmal gesagt hat, war: „Herr Sauer, vielen Dank für die beeindruckenden Bilder. Jetzt habe ich endlich verstanden, wofür die zahlreichen Vogelschutzgebiete am Oberrhein gut sein sollen.“

Blühender Bärlauch in den Wäldern am Oberrhein

Um ehrlich zu sein, kann ich es den Menschen nicht verübeln, wenn ihnen Natur- und Artenschutz gleichgültig ist. Denn häufig versteckt sich das eigentliche Ziel hinter einem bürokratischen Dickicht aus Richtlinien, Gesetzestexten und Vereinbarungen. Leider ist nichts davon geeignet, Interesse an der Natur zu wecken. Ich glaube genau hier kommen die Naturfotografen ins Spiel. Sie haben eine wichtige Schlüsselrolle als Vermittler zwischen Mensch und Natur, denn ein Bild sagt oftmals mehr als tausend Worte.


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